Ich sollte endlich aufwachen
Sehe ich wirklich so verpennt aus?
Sehe ich wirklich so verpennt aus?
Nun ist er da. Der Tag, an dem mich mal einer dazu auffordert endlich aufzuwachen. Der Reihe nach. Man steht vor der Apotheke an und wartet. Da kommt eine sympathische junge Dame heraus und grüßt mit einem fröhlichen „Hallo“. Bis dahin hatte ich kurz den Glauben zurück, dass die Welt doch wieder etwas freundlicher wird. Sie bleibt stehen und überlegt, woher wir uns kennen. Funk, Film, Fernsehen scheiden aus. Nein, der Geistesblitz erhellt die Umgebung. „…bei den Pferden seien wir doch gewesen“. Nein, waren wir nicht. Aber dann müsste es jemanden geben, der ebenso ausschaut wie ich. Ebenfalls nein, davon hätte mir meine Mutter berichtet. So enden Missverständnisse und die Wege trennen sich.
Apotheke erledigt, weiter zum Zeitungsladen. Warten. Im Eurojackpot sind 62 Millionen im Pott. Ich sinniere wohl etwas zu laut, dass ich keine Idee hätte, was ich mit so einer Summe anfangen soll. Eine andere Person steht hinter uns und erklärt mir, ich müsste alles in Gold und Silber anlegen. Kreativer Vorschlag, aber Edelmetalle können auch mächtig die Taschen ausbeulen. Ungefragt fährt die Person fort, dass uns ja alsbald eine Hyperinflation bevorstehe. Außerdem würden wir eh bald eine Kryptowährung bekommen. Das hätte man schon mal 2007 versucht und jetzt würde diese aber definitiv kommen.
Ich ahne zwei Dinge zugleich; 2007 muss ein bedeutendes Jahr gewesen sein und ich muss mich jetzt auf ein bildendes Gespräch einstellen. Die Finanzkrise war 2008, aber ich glaube darum geht es der Person nun auch gar nicht. Und ich erinnere mich immer noch nicht an 2007. Kryptowährung schwirrt mir noch durch die Synapsen während fortgefahren wird. Der große Untergang stünde nun bevor und das hat überhaupt nichts mit Corona zu tun. Aha. Corona sei ein Vorwand. Versiert im Smalltalk stelle ich mit interessierter Mimik die Frage, was die Person denn beruflich machen würde. Nichts. Derzeit nichts. Aber sie sei gut vernetzt und sie und die anderen Vernetzten hätten das durchblickt und dann kam die sicher gut gemeinte Aufforderung, perfekt im Pluralis Majestatis „…ihr müsst endlich aufwachen“. Sie hätte es durchschaut und es werden immer mehr.
Schon in der Anfangszeit meiner Ahnenforschung hatte ich die Hoffnung, doch des Hochadels entsprungen zu sein. Und nun die königliche Anrede. Wenn man den Sinn der Worte wegschiebt, fühlt man sich schon ein bisschen gebauchpinselt. Zugleich fühlte ich mich aber auch irgendwie fehl am Platz. Überall woanders wäre ich nun lieber. Leider musste ich das Gespräch beenden, bevor sie mir noch weitere Gründe für die Inexistenz des Virus erläutern konnte.
Zwei Dinge schwirrten mir auf dem Heimweg durch den Kopf: Gibt es das Blatt „Erwachet“ der Zeugen Jehovas noch? Und dass es toll ist, dass wir in einem Land leben, in dem jeder seine Meinung haben darf. Ich finde das beruhigend auch wenn man nicht immer die Meinung des Anderen teilen mag.